An Feinden fehlte es ihm nie
Hier kommt ein längeres Kapitel mit 6700 Wörtern. Die Anmerkungen sind 1000 Wörter lang.
Hier kommt leider eine Stelle, die zu den Vorgängerbänden in direktem Widerspruch steht. Bitte berücksichtigt allerdings, dass ich an Band 4 schon seit 4 Jahren herumbastle, zwischen der Beendigung von Band 3 und Band 4 ein Jahr lang eine enorme Depression hatte, während der ich diese Bücher absolut hasste, und die Vorgängerbände erst 2024 nach vier Jahren wieder durchgelesen habe. In dieser Zeit sind mir manche Dinge entfallen.
Der Widerspruch ist gravierend und zugleich leicht zu akzeptieren, denn er betrifft nur 4 Sätzchen in Band 3. Am Ende von Band 3 eröffnete der alte Herzog Gunther, dass Hagen ein „Bastard“ von Gibich ist. Er sagt in 2 knappen Sätzen, dass es auch Gunthers Mutter wisse. Wenn Gunther später Hagen von seiner wahren Herkunft berichtet, fragt der ihn, wer es noch wisse. Da heißt es „Nur meine Mutter“. Mehr nicht.
Aber ich hatte in der Zwischenzeit vergessen, dass die Hauptfiguren wussten, dass Ute in Kenntnis gesetzt war. In meiner Vorstellung dachten sie, bis auf den alten Herzog habe niemand davon erfahren.
Jetzt folgt eine Szene, in der Ute Gunther mitteilt, dass sie sehr wohl von Gibichs illegitimem Sohn weiß, und er reagiert entsprechend geschockt.
Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich euch bitte, die 4 Sätze aus Band 3 auch zu vergessen. Später werde ich sie anpassen; am sehr kleinen Umfang der notwendigen Änderung zeigt sich, dass die Sache ziemlich nebensächlich ist. Dann heißt es einfach: Wer weiß sonst noch davon? – Niemand.
Doch auch davon abgesehen bin ich mit dem ersten Abschnitt keineswegs zufrieden. Vielleicht wird die Szene noch komplett umgeschrieben oder herausgeworfen. Wenn ihr sie deshalb nicht lesen wollt, könnt ihr runterscrollen bis zum nächsten Abschnitt, der dann wieder wichtig ist für die weitere Handlung.
Jetzt geht es los:
Gunther konnte nicht leugnen, dass die Abwesenheit seines besten Beraters den Wormser Hof in Unruhe versetzte: Es gemahnte ihn an die Tierwelt, wenn sich der Adler von dannen gehoben hatte, und nun aus allen Ecken, Spalten und Winkeln die Mäuse hervortrippelten. Jeden Tag umgaben ihn Grafen und Ritter, die sonst nicht das Wort zu ergreifen wagten. Manche baten ihn, ehrfürchtig oder drängend, um neue Lehen, Privilegien und sonstige Gunsterweise; manch andere beschränkten sich darauf, gegen seinen teuren Herzog zu sticheln. Sie versuchten, ihm geschickt dessen Fehler und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen, wisperten hechelnd von seinem Hochmut und seiner Hybris, ja, und die kühnsten erfrechten sich gar, das steinerne Fundament seiner Treue anzuzweifeln, zu behaupten, alle Hingabe sei auf Sand gebaut, nicht auf den Fels der Verehrung und Freundesliebe. Ihre Ränke – das musste sie vergrämen – trugen keine Früchte; vielmehr erwürgten die Neider damit das Ansehen, das Gunther für sie vordem im Herzen getragen hatte.
Mehr als einmal ergriff ihn der Zorn! Dann beendete er das Intrigenspiel mit herrischen Worten: „Zum Undank wollt Ihr mich anstiften, wie? Denjenigen, der für mich im Feindesland die Schwerthiebe abfing, und die Leibesstrafe für den verspäteten Tribut, dem soll ich’s mit Verachtung entgelten? Und, und meint Ihr, ich sei zu töricht, um echte Treue von falschem Gesäusel zu unterscheiden? Nein, nein, ich bin kein Narr. Nur wenige Dinge sind auf dieser Welt gewiss – die Treue meines Tronjers ist eines davon. So ist’s, und habt Ihr nichts anderes zu tun, als mir einreden zu wollen, dass Gold nur Lehm sei, dann schweigt!“
Danach wagte der Gerügte es nicht mehr, Gunthers ersten Lehnsmann zu schmähen.
Die Beratungen im Thronsaal waren von schonender Kürze: Alles, was kaum über den Rang einer Kleinigkeit hinausragte, konnte Gunther bewältigen mit der erlösenden Losung: „Warten wir mit dem Urteil, bis der Herzog zurückgekehrt ist.“
Einmal hinterbrachte ihm Kriemhild, dass Gernot, der unsägliche, sich erdreistet hatte zu behaupten: „Ein Glück, dass unser Küchenmeister die Speisen des Tages festlegt. Obläge dies unserem lieben König, hätten wir bis zur Rückkehr des Herzogs nichts zu essen!“
Elender Schwätzer! Gunther sorgte für seine Strafe. In der nächsten Ratssitzung stellte er Gernot genau vor jene Prüfung, die Männer der Tat von den Männern des Besserwissens schied: Er fragte vor allen Leuten seinen Bruder um Rat. Es erfüllte Gunther mit Triumph, wie Gernot darum rang, die Überlegenheit zu bewahren und sich gleichzeitig einer echten Antwort zu entwinden.
Ab und an stahl sich Gunther – hoffentlich unbemerkt von den lästerfrohen Höflingen – in die Kemenate, um Mutter zu besuchen. Die Begegnungen der letzten Monate waren stets flüchtig gewesen – und eigentlich hatte er sie ja doch ein wenig vermisst.
Des Öfteren mischte sich auch die Schwäbin in ihre Gespräche und gab unermüdlich mit den Fortschritten ihres Sohnes an – auch wenn sie bedauerte, ihn nur noch selten zu Gesicht zu bekommen.
Eines Tages führte ihn Mutter in ihre Kammer hinüber. Hier hatte er sich früher oft hinter der Kleidertruhe versteckt, wenn Vaters Zorn wieder allzu heiß loderte. Und hatte er sich der Strafe nicht entziehen können, kam er oft hierher für Trost und Salben.
„Ach, Mutter“, sagte er mit gedankenverlorenem Seufzen, „jetzt hab ich fünf Dutzend Wächter in meinem ständigen Dienst, doch keiner von ihnen hat mich so oft vor Unbill bewahrt wie Ihr.“
„Glaub mir, würden wir Frauen dieselbe Macht genießen wie Männer, hätte dich nur sieben Mal die Strafe ereilt, immer dann, wenn du zu deinen Geschwistern garstig warst.“
Naja, er hatte das anders in Erinnerung … Er füllte zwei Becher mit Wein.
„Es gibt da etwas, dass du erfahren musst, Goldstück“, sagte Mutter leise. Sie sah ihn an mit eindringlichem Blick. „Dein Vater wäre zufrieden, dass die beiden wichtigsten Ämter des Reiches seinem Stamm gehören.“
Er erstarrte. Sie wusste – nein, das konnte nicht sein, oder nicht? Seinem Stamm – vielleicht war’s nur ungeschickt ausgedrückt, jaja, und Mutter wusste gar nicht, wie Recht sie wirklich hatte.
„Ja“, sagte er hastig, „das würde ihn mit Stolz –“
Mutter griff nach seiner Hand. „Ich weiß nicht, wie viele Halbgeschwister du noch hast – aber ich weiß, welcher der bedeutendste ist.“
Er schlug die Linke vors Gesicht. Mutter, die fromme, gottesfürchtige Königswitwe, könnte es nicht dulden, dass das wichtigste weltliche Fürstentum sich in den fähigen Händen eines – Bastards befand! Sie würde ihn anflehen, diesen Zustand, der die Ordnung der Welt und die Ehre ihres toten Bruders verletzte, alle angestammten Gesetze aus dem Lot brachte – diesen Zustand aufzuheben, seine Schuld zu tilgen, und seine beste und treueste Stütze hinabzuschleudern in den Staub. Uneheliche Geburt war dreifache Schmach: des Vaters, mehr noch der Mutter, und am meisten des unschuldigen Sohns. Keine Waffe könnte seinen Hagen besiegen, kein Feind ihn überlisten, keine Gefahr ihn brechen – aber ein Wort nur, ein einziges, und nicht einmal Gunthers gesammelte gekrönte Macht könnte ihn vor dem Sturz bewahren.
„Bitte“, flüsterte er elend, „lasst ihn mir!“
Mutter drückte seine Finger. „Hätt‘ ich’s verraten wollen, hätt‘ ich nicht fünfzehn Jahre lang geschwiegen.“
Er ließ die Hand von den Augen wieder sinken. „Oh. So lang schon wisst Ihr es?“
„Natürlich. Die Herzogin war meine beste Freundin, und der unglückliche Ehemann mein Bruder. Bevor sie’s mir gestand, hatte ich es bereits durchschaut.“ Sie lächelte, und es schien derart heiter und verschwörerisch, dass Gunther beinahe Hoffnung schöpfte.
„Mutter – seid Ihr mir böse, dass ich ihm das Lehen gab?“
Sie wich seiner Frage aus. „Seit wann weißt du es?“
„An dem Tag, an dem Dankwart von der Nachfolge ausgeschlossen wurde, hat der Herzog es mir erzählt.“ Er schluckte. „Ich hab mit mir gerungen, wie ich den Herrgott versöhnen könnte“, verlegen sah er zur Decke, „weil ich ja nicht ohne einen Berater und Beschützer herrschen kann, und – Hagen ist doch in jeder Hinsicht dafür geschaffen. Es kam mir vor, als wolle mich das Schicksal verspotten, wenn es mir den bestmöglichen Ausweg für meine Not zeigt, nur um ihn mir dann zu verbieten!“
Mutter nickte. „Du warst dir bewusst, dass du einen illegitimen Sohn mit einem Amt betraust.“
„Zum Teufel! Ich –“
„Fluch nicht.“
„Zweimal zum Teufel! Es waren andere, die sich viel schlimmer versündigt haben! Und falls Ihr Euch wundert: Nein, ich bereue es nicht – es war die beste Entscheidung!“ Er entzog ihr seine Hand.
Mutter blickte zum Kreuz an der Wand hinüber. „Es scheint, als habe der Herrgott seinen Segen dazu gegeben. Freilich müssen wir auch weiterhin viel beten, dass er uns vergebe, was du getan hast. – Ich zumindest bringe ihm morgens und abends zehn Paternoster dar, damit er uns nicht zürne.“
„Oh, Mutter!“, sagte er freudig, „ich danke Euch! So sehr!“ Er erhob sich und umarmte sie. „Dass Ihr es mir nachseht – und dass Ihr das Geheimnis bewahrt.“
„Ich könnte doch niemals meinem Sohn den wertvollsten Beschützer nehmen! Niemals. Aber lehr ihn beizeiten ein wenig das Gehorchen. – Ich nehme an, Hagen weiß es auch?“
Er nahm wieder Platz in seinem Stuhl. „Ja. Ich ließ ihm freilich keine Zeit, um darüber nachzugrübeln, sondern verdeutlichte ihm, dass er unverzichtbar ist. Wenn der König bittet, kann der Diener nicht fernbleiben.“
„Niemand sonst weiß es?“
„Nein.“
„So soll es bleiben. Hüte dieses Geheimnis noch sorgsamer als Gold.“
Er neigte sich leicht. „Seid ohne Sorge. Zu furchtbar wäre der Preis, den wir entrichten müssten. Ich könnte Hagen als Herzog nicht mehr halten.“
„Nicht einmal als Wächter dürfte er dir noch dienen. Die Fürsten erlaubten es nie, dass der ehemals zweite unter ihnen in der Nähe des Königs weilte, zumal der ihm noch immer die Treue hielte! Sie gäben erst den Zorn auf, wenn jeglicher Einfluss von ihm vernichtet wär. Ihr liebstes Mittel hieße wohl ‚Verbannung‘.“
Das wollte er alles nicht hören! Gereizt erwiderte er: „Weder ich noch Hagen werden je etwas sagen.“
Mutters Blick war eisern und flehend zugleich. „Dieses Geheimnis könnte auch dich den Thron kosten. Dem König, der einen Bastard beschirmt, erwachsen tausend Feinde. Man würde deine Absetzung verlangen, dich für herrschaftsunfähig erklären.“
„Wir geben acht!“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nur, dass du die Gefahr begreifst, mit der du immer leben musst. Der arme Kerl kann nichts dafür, dass seine Tugend dein Panzer und seine Herkunft deine Blöße ist. Sag niemandem ein Wort davon.“
Neuer Abschnitt ab hier:
Am selben Tag schickte Gunther nach Kriemhild, sie solle in den Thronsaal kommen. Sie ließ sich unnötig viel Zeit dafür, die Freche, und als sie ankam, war Gunther bereits ins Gefecht mit einem Wächter vertieft. Nach dem Ende des Kampfes hob er das Schwert vom Boden auf, nahm den Helm ab und schritt zu Kriemhild hinüber.
„Grüß dich, kleine Schwester! Du wolltest doch immer die Schwertkämpfe einmal von Nahem anschauen – jetzt ist es soweit!“
Eine Falte entstand zwischen ihren Brauen. Mit dürftig verhohlenem Ärger murmelte sie: „Ich wollte aber richtige Gefechte sehen, von Kriegern, die ein paar mehr Schlachten als du überstanden haben!“
„Mit solchen kann ich zurzeit nicht dienen. Da musst du Unglückliche eben mit mir vorliebnehmen.“ Er lachte und wandte sich um.
Richard von Lichtenburg, sein wackerer Wächter, erwartete schon den nächsten Kampf. Er hatte genug Anstand, seinen König diesmal siegen zu lassen. Beim zweiten Mal ebenso, beim dritten sicherte Richard sich den Sieg schnell wie die Natter, die aus dem Dickicht schoss, und beim vierten Mal gewann Gunther ganz von selber. „Hast du das gesehen?“, rief er ausgelassen zu Kriemhild hinüber.
„Selbstverständlich. In der Schlacht hättest du längst eine Klinge im Herzen.“
Er winkte unwirsch ab und fasste den Schild fester.
„Weiber“, brummte Richard. „Verstehen nicht einmal den Zweck des Übens.“
Gunther nickte entschlossen und griff an. Richard versetzte seinen Streich gewandt und stieß die Klinge vor. Gunther sprang rasch genug zur Seite. Er zielte auf die entstandenen Blöße in Richards Seite. – Wieder ein Sieg! Flink nahm er eine Verteidigungsstellung ein, wartete auf Richards Angriff. Aus der Hut wehrte er zwei ab. Beim dritten – sie waren hart am Band – hakte er rasch das Heft über die gegnerische Hand und hebelte ihm die Klinge aus. Die zahlreichen Zweikämpfe mit Hagen hatten sich gelohnt.
Beim Gefecht danach hätten sie beide eine böse Wunde empfangen, und beim folgenden musste Gunther ein paar Knaufstöße einstecken, ehe ein glücklicher Augenblick ihm einen gegnerischen Fehler und drum den Sieg bescherte.
Er rief Kriemhild, sie solle den Wein herüberbringen. Rasch neigte er sich zum Wächter: „Du schonst mich wirklich nicht?“
„Gar nicht, Herr.“
Verlegen nahm Gunther den Helm ab. So recht wollte er das nicht glauben; schließlich waren ihm die Zweifel vertrauter als das Zutrauen zu sich selber.
Kriemhild reichte jedem einen Becher. Während sie tranken, untersuchte sie Gunthers Helm und Schild, hob beide hoch und prüfte das Gewicht.
Wächter Richard hatte selten so lange und so nahe bei ihr gestanden; Gunther rechnete es ihm hoch an, dass er sich redlich mühte, nicht zu starren. Außerdem hatte Richard von Lichtenberg ihm einen großen Dienst erwiesen, damals, als der alte Herzog zu Tode kam. Auf Gunthers Befehl hin hatte der Wächter die Schuld übernommen – eine federleichte Schuld, denn es war Notwehr zur Rettung des Landesherrn. Er hatte Stillschweigen geschworen, sich verpflichtet, niemandem je zu verraten, wer dem verrückten Herzog in Wirklichkeit den Todesstoß versetzt hatte. Doch mit Gunsterweisen hielten die Schwüre noch besser. Zwar hielt ihn Gunther oft in seiner Nähe, fütterte ihm Brosamen seiner Huld, aber eine weitere Belohnung wäre kein Nachteil. Er könnte dem Lichtenberg eine ansehnliche Braut aus angesehener Familie vermitteln, aus einem Rittergeschlecht oder dem reichen Bürgertum.
Als die Becher geleert waren, stellten sie sich erneut zum Kampf. Es folgte eine Kette geschwinder Gefechte, mancher Prachtsieg nach nur ein, zwei Hieben war dabei. Nie dauerte es länger als fünfzehn Herzschläge; außer die drei Mal, bei denen sie beide zu Fall kamen und den Kampf mit zähem Ringen beschlossen.
Nach einem besonders hart errungenen Sieg klatschte Kriemhild in die Hände. „Oh, das war wunderbar! Ich will noch öfter zusehen! Und wüsst‘ ich’s nicht besser, würde ich beinahe meinen, du habest“, sie dachte kurz nach, „in sieben Schlachten gefochten!“
Das Lob eines Laien, obzwar ohne Substanz, nahm man doch trotzdem gerne an. Gerade als er den nächsten Kampf begann, schwang die schwere Saaltür auf.
Der Herold eilte herein mit großen Schritten. „Mein König, drei Boten trafen eben ein, aus Frankreich, Bayern, Österreich. Sie lassen ausrichten, was sie Euch mitzuteilen haben, dulde keinen Aufschub.“
Aller schwirrende Frohsinn verschwand, stattdessen stieg wie Nebel jetzt die Sorge auf. Gunther legte den Schild nieder und nahm den Helm ab. „Das hört man immer. Nein, die Boten werden sich gewiss erst von der Reise erholen wollen. Gebt ihnen Wein; derweil sollen sich meine Fürsten hier versammeln.“ Ermanne dich! Es stand einem König nicht gut an, schon beim zweiten Satz eines Befehls außer Atem zu kommen!
Plötzlich entstand Aufruhr draußen vor dem Portal.
„Es ist verboten!“, riefen seine Wächter. Richard rannte los wie ein Pfeil, hinüber zum Portal mit gezogener Waffe. Einen Herzschlag lang zauderte Gunther – dann folgte er rasch. Draußen auf der Saalstiege standen die drei Boten und verlangten Einlass. Seine Wächter – drei weitere waren bereits herbeigeeilt, es waren nun sechs – versperrten ihnen den Zugang mit drohenden Speeren.
„Was ist hier los?“, fragte Gunther hinter ihnen. Nein, zu leise! „Was soll der Aufruhr?“
Die Wächter bildeten eine treue Wand zu seinem Schutz. Einer der Boten deutete anklagend auf ihn und rief mit französischem Zungenschlag: „Edelmann, bring uns einen, der bedeutend und vernünftig ist! Wir wollen zum König!“
„Jawoll!“, riefen der Bayer und der aus Österreich.
„Der König bin ich.“ Ihm entging nicht, wie sie ihn jetzt beäugten, denn dass er gerüstet war im Kettenhemd, passte nicht zu dem Bild, das sie sich von Gunther, dem Weichling, vorgestellt hatten.
Ihr herablassendes Staunen verlieh ihm Kraft. „Dann lasst sie eben eintreten, Männer“, sprach er fest. „Wenn ihnen die Botschaft derart auf der Zunge brennt, hör ich sie sogleich an.“
Er schritt den Boten voran in den Thronsaal zurück. – Kriemhild stand am Rand, demütig und bescheiden wie ein zartes Singvögelchen. Er hätte sie vorher fortschicken sollen. Nun denn, sollte sie eben bleiben.
In einem Streifen aus Mittagslicht hielt er an. Die Kettenringe blitzten, als er sich umdrehte. Der Thron, noch weit entfernt, lag im Schatten. Er stützte eine Hand in die Hüfte und sagte, weniger barsch, als er es beabsichtigt hatte: „Willkommen in Worms. Stürmisch war Eure Ankunft; ich hoffe, dass Eure Botschaft –“
„Lange Reden tun nicht not, junger König“, sprach der Bayer. „Die Schonfrist ist vorbei!“
„Aus Rücksicht auf Eure Jugend haben unsere Herren bisher gütig ausgeharrt“, fuhr der Österreicher fort, „nun aber ist’s genug! Euer Vater und sein Herzog haben allzu oft ihre Nachbarn betrogen, mit List und Tücke sich Ländereien errafft, vor zehn Jahren Österreichs Kriegskasse gestohlen, und mit zahllosen Schandtaten mehr den Namen Burgund besudelt.“
„Aber das ist so lange her!“, rief Gunther.
Der Bayer fuhr fort: „Und ebenso lange zehrt Burgund von den Zinsen seiner unrecht erlangten Vorteile! Sollen unsere Herren da duldsam aufgeben, was einstmals ihnen selber gehörte? Dem verzärtelten König von Burgund alles schenken, wo doch jeder Bauer für sein Erbe Abgabe leistet?“
„Nein!“, riefen die andern beiden, „niemals!“
„Ihr genießt nicht ungestört das ererbte Diebesgut, oh nein!“
„Darum“, rief der Bayer stolz, „kündigen wir Euch die Erbabgabe an! Wir holen zurück, was uns gehört. Unsere Herren – erklären Euch den Krieg!“
„So ist’s!“, wiederholten der Bayer und der Franzose mit hämischem Genuss.
Oh Himmel, warum war Hagen gerade jetzt nicht da!
„Wie bitte?“, fragte Gunther verschüchtert, mit einer Stimme, die in seiner Kehle verkümmerte, „ist das wirklich Eure Botschaft?“
Drei Feinde, drei! Selbst wenn Schwaben helfen wollte, wären sie zu schwach. Sein armes Land, zermalmt zwischen Frankreich, Bayern, Österreich! Was sollte er tun? Kampflos aufgeben, was sie verlangten? Der einzige Ausweg wäre das, und führte in die Schande. In den Schlachten verlöre er sein treues Heer, aber wenn er jetzt gleich um Frieden flehte, verlöre er die Ehre! Verblutende Männer – oder sein guter Name in Fetzen! Warum zum Teufel hatte er Hagen auf diesen törichten Umritt geschickt! Und warum ließ man ihn nicht in Ruhe; er hatte keinem etwas Böses getan!
Die Boten nickten triumphierend.
Er hob die Hand zur Stirn, wollte sich bekreuzigen – halt! Das würden sie ihm als Schwäche auslegen. Stattdessen fuhr er sich durchs Haar. Die drei Wölfe vor ihm begannen zu wabern, und in seiner Kehle brodelte es. Nicht das noch! Sie betrachteten ihn schadenfroh, erwartungsvoll lächelnd, als würde es ihnen schmecken wie himmlisches Manna, wenn sich ein König vor ihren triumphierenden Augen in Nervenfasern auflöste.
„Oh, furchtbare Not!“, schrie eine helle Stimme – Kriemhild. Sie rannte von der Seite herüber, hielt abrupt inne vor den drei Boten, hergeweht wie eine Rosenblüte in ihrem zartroten Kleid. „Was tut Ihr uns an! So viele Feinde hatten wir noch nie, und wenn sich nun die halbe Welt gegen uns verschwört, dann müssen alle meine Brüder in den Krieg ziehen, alle! Sogar Giselher, und der ist doch viel zu jung!“ Sie blickte mit glänzenden Augen über die Boten hinweg und bemühte sich, nicht loszuschluchzen. „Ich hab meine Brüder lieb! Meine Vettern, meinen Onkel – und Ihr wollt sie umbringen!“ Zwei Tränen rannen ihr über die Wangen. Gunther hätte sie getröstet – nein, Trost gab es nicht – sie umarmt, wenn er selber mehr gefasst wäre.
Die Boten waren immerhin ganz von ihm abgelenkt. Er wischte sich rasch übers Gesicht und versuchte, ein paar Bröckchen der königlichen Würde wiederzufinden.
Kriemhild brach jetzt doch in haltloses Schluchzen aus. Da wollten die Boten, trotz ihrer Kälte gegenüber Burgunds Schicksal, nicht schweigen im Angesicht einer weinenden Frau.
„Verzagt nicht, schönes Kind“, sagte der Österreicher und ergriff ihre Hand, um sie zu küssen, „es werden bestimmt einige Eurer Verwandten vom Schlachtfeld zurückkehren!“
Kriemhild schüttelte den Kopf. Ihre Tränen fielen auf die Finger des Österreichers.
„Liebes Mädchen“, sagte der Franzose sacht, „wenn es Euch nun auch im Herzen schmerzt wie ein Dolch – es sind ja nur Brüder, die Ihr beklagen müsst, und kein Gemahl!“
Kriemhild schaute zu ihm auf. Ihre Augen waren groß, ihre Lippen zitterten. „Meine Brüder sind mir sehr teuer. Der dritte ist froh und lauter wie die Morgensonne, der zweite ist kühn und stark, und der erste hat Weisheit und Geist, so weit, wie Sand am Ufer des Meeres liegt.“
„Nehmt mein Ehrenwort als Ritter“, sprach der Bayer, „dass mein Herr, der Herzog Heinrich, nicht aus Feindschaft zum Schwert greift, sondern nur zur Wiedergutmachung fremden Unrechts. Eure Brüder selber bewahrt er in großer Hochachtung.“
„Aber das schreckliche Elend, der grausige Krieg!“ Sie schüttelte den Kopf und wimmerte herzzerreißend.
Gunther straffte den Rücken. Die Verzweiflung hatte er noch einmal überwältigt, die Tränenschleier waren getrocknet. Er war jetzt Manns genug, den Boten Antwort zu geben. Er räusperte sich, um die Verlässlichkeit seiner Stimme zu prüfen – es ging – und trat zu ihnen.
Kriemhild flüsterte gerade: „Wenn sie ins Feld zogen, sagte ich immer ‚Lebewohl‘ – doch diesmal ist es aussichtslos, keiner kommt zurück – ich kann ihnen nur wünschen: ‚Stirb rasch‘!“
Gunther legte den Arm um sie. Er starrte die Boten an. „Nicht ganz, Schwester – du musst uns wünschen: ‚Auf dass euer Tod teuer sei!‘“ Seine Verneigung war nur ein Nicken. „Es kann der Anständigste nicht in Frieden leben, wenn seine Nachbarn Blut begehren. Der Anständige dankt dem Boten für die Mühsal, ganz gleich, welche Nachricht er überbringt. Nun gehet hin und wartet auf meinen Bescheid.“
Ihre Schadenfreude war verglommen; sie verbeugten sich und murmelten einen Abschiedsgruß.
Als sie fort waren, zog Kriemhild sanft an seinem eisernen Ärmel. „Du hast dich wieder gefangen, nicht wahr?“ Sie lächelte ihn an, überraschend gefestigt. Er zog sie an sich und umarmte sie. Das war mit Kettenhemd zwar nicht besonders angenehm für seine Schwester, aber er drückte auch nicht zu.
Er raunte: „Ja. Du muss tapfer sein; ich, ich tu, was ich vermag, und bald kommt Hagen zu-“
Sie schniefte und entwand sich seinem Griff. „Ich hab’s doch für dich gemacht, das Weinen und das Jammern. Ich hätte ihnen nämlich am liebsten mit der Faust gedroht, den Elenden!“
„Oh“, sagte er. „Dann – danke.“ Er räusperte sich erneut. Drei Feinde, drei! „Lass alle Fürsten rufen, sofort. Ich komme gleich wieder.“
Er rannte davon, aus dem Saal hinaus, die Treppen hoch. Was kümmerte es ihn, dass die Leute ihm erschrocken nachschauten oder riefen: „Was ist geschehn, Herr?“ Sie erführen es bald genug.
In seiner Kammer hängte er das Wachs über die Kerze und stürzte sich dann auf Pergament und Feder.
Dem schnellsten seiner Boten übergab er das Schreiben – halt, kehr um! Gunther sprach noch ein hastiges Paternoster für beide, Brief und Reiter, und schickte sie endgültig fort.
Als er in den Thronsaal zurückkehrte, waren die Fürsten versammelt. Der Lärm und die Aufregung verrieten ihm, dass Kriemhild ihnen den Grund gleich hatte ausrichten lassen. So blieb es Gunther erspart, Zeuge ihres ersten Schreckens, der Empörung und des Zorns zu werden.
Onkel Godomar kam auf ihn zu und fasste seine Hände. „Sei stark, Neffe. Einer solchen Lage sah sich keiner deiner Vorgänger je ausgesetzt, was jedoch niemanden davon abhält, dir treu beizustehen.“ Sah man es Gunther denn so deutlich an, dass er führungslos war? „Der erste Schritt ist der einfachste: Ruf das Heer herbei, gleich jetzt. Dafür brauchst du nicht den Herzog zu fragen, der sagte nämlich dasselbe wie jeder. Danach kannst du ein paar Tage warten mit den Entscheidungen. Über das weitere Vorgehen beraten wir, wenn er wieder da ist, schließlich ist er dein Fürst mit der stärksten Streitmacht und muss gehört werden.“
Gunther hauchte ein schwaches Ja. Er schritt zum Thron, unbemerkt in der allgemeinen Entrüstung. Er setzte sich. Die Lehnen hielt er fest umklammert, bis die Adern hervortraten. Der leere Platz zu seiner Linken erinnerte ihn drohend: „Alleine bist du unfähig!“ Es wäre wohl niemandem aufgefallen, dass der König anwesend war, wenn nicht der getreue Eckewart für ihn um Ruhe gerufen hätte. Wie eine Herbstböe fuhr das Schweigen durch den Saal.
Stärke! In Zeiten der Gefahr blickte jeder zum König auf – drum sollte sein Anblick sie nicht mit noch mehr Bangigkeit erfüllen!
Er hielt sich aufrecht, als er das Wort an seine Leute richtete. Was er sprach, war ihm kaum bewusst, denn in seinen Ohren waberte es pochend, wie unter Wasser. Auch schien es ihm, als seien seine Züge unbeweglich wie bei einer Statue aus Marmor, keine einzige Regung zuckte drüber hinweg. Dabei zitterten ihm die Finger, der Schweiß rann über seinen Rücken, seine Männer verliefen vor seinen nichtblinzelnden Augen zu Flecken. Er wurde vielleicht zum ersten Menschen, der eine Rede ohne ein einziges Mal Luftholen hielt. Er fand, er stottere, dass es zum Schämen war, oder verschlucke ganze Silben. Von seinem reinen Gewissen redete er: Das wonnige Burgund war für alle ein guter Nachbar gewesen, hatte dieses zerbrechlichste Gefäß, den Frieden, tugendreich gehütet – da zogen die scheinbaren Freunde den Dolch und stachen auf sein liebes Land ein, unverdient, kein Krieg war je ungerechter gewesen! In Scherben ging der Frieden, doch schuldlos war Burgund. Ein Schandfleck in allen Chroniken wäre dieser Krieg, ganz gleich, wie er ausginge, und sollten auch die Franzosen, ihres verlotterten Paris’ überdrüssig, in den Ruinen von Worms ihre neue Hauptstadt gründen, würden deren Enkel einst fragen: ‚Großvater, warum habt Ihr dieses unschuldige Land zerstört?‘ Denn die Nachgeborenen würden wissen: Schuldlos war Burgund! Hastig redete er vom Kampfesmut der Schwächeren, die sich ungebrochen gegen den starken Gegner wandten, gleich der Drossel, die den finsteren Räuber, die Krähe, mit kühnem Herzen von ihrem Nest verjagte! Denn schuldlos war Burgund! Am Ende versprach er Sankt Peter, dass kein Burgunde an dessen Pforte klopfen würde, ohne seine Pflicht erfüllt und tapfer gekämpft zu haben!
Fast liefen ihm die Tränen herab. Trotzdem gelang ihm das Wunder, die Versammlung am Ende gar zu wagemutigem Jubel zu bewegen.
Die hochgereckten Schwerter wurden schließlich wieder eingesteckt, zu den Vorbereitungen wollte jeder eilen, da rief Gunther den Bischof von Worms zum Gebet auf. Gehorsam beugte man das Knie. Gunther selbst glitt aus dem Thron, leicht wankend, und kauerte mehr als dass er kniete. Er musste noch weit inbrünstiger flehen als alle andern, denn wäre seine Unzulänglichkeit nicht weltbekannt, wär ihnen dieses Unheil vielleicht erspart geblieben.
Als der Bischof „Amen“ sprach, erhob sich mancher getröstet und zuversichtlich – manch anderer dagegen hatte Demut gelernt und das erbärmliche Leben in die Hand des Höchsten gelegt. Burgunds schwerster Krieg hatte begonnen.
Neuer Abschnitt ab hier:
Gehetzte Regsamkeit erfüllte die Pfalz bei Tag und bei Nacht. Vom Umland holte man Ochsen herbei und Säcke voll Mehl, auch Schweine und Fässer voll Wein. Wer den Tross begleiten würde als Schmied oder Metzger wetzte die Messer oder hämmerte unaufhörlich Hufeisen und Lanzenspitzen zurecht. Man holte die Rösser von den entfernten Weiden, ordnete das Testament und stiftete Messen für einen guten Ausgang des Krieges. Die Bäuerinnen lieferten Leinenstoffe ab, die Mägde schnitten sie zurecht für Verbände.
Zehntausende Gebete stiegen zum Himmel auf, wären sie Vögel, müsste er sich verdunkeln. Gattinnen und Töchter knieten stundenlang im Dom, und in den Klöstern erflehten die lauteren Weltabgewandten, Nonnen wie Brüder, die Gnade des Herrn.
Mutter zeigte sich unermüdlich, eilte zwischen Dom und Kemenate hin und her, mischte Salben und Pulver, tröstete die Frauen, nahm Gunthers Befehle für die Zeit seiner Abwesenheit an, und verlieh wie ein Leuchtturm in schwarzer Nebelnacht den Zaudernden Hoffnung und Halt.
Neben der Sorge um das Schicksal seiner Burgunden war ein weiterer Gedanke allgegenwärtig: Wie lange, bis der Bote Hagen erreicht hatte? Er konnte nicht allzu fern sein; der Weg eines feierlichen Umritts wand sich rankengleich von Burg zu Kloster, von Dorf zu Stadt, und jeder Aufenthalt dauerte gleich zwei Stunden. Was für den neuen Herzog eine Tagesreise war, legte der Bote in einem halben zurück. Er überlegte täglich mit Godomar, Eckewart und dem Bischof, wann Hagen frühestens eintreffen könnte; und jede Stunde rechnete er es neu aus. Wenn er doch endlich, endlich ankäme! Sieben Tage würde er brauchen – bestenfalls. Nicht einmal Totenwache konnte fliegen.
Gunther befand sich in einem fahlen Zwischenzustand, weder war er zornig noch furchtsam, weder müde noch kraftvoll. In jeder Nacht lag er stundenlang wach, grub sein Hirn grübelnd um und um wie einen Ackerboden, bis er schließlich aufstand. Er verließ die Schlafkammer, um Claudius nicht zu wecken, ging ins Zimmer nebenan und zog das Schwert, um gegen erdachte Feinde zu fechten und vielleicht irgendwann die ersehnte Erschöpfung zu finden. Er tänzelte ohne Pause umher, ganz sachte wegen der Leute unter ihm. Half es? Nein; als der Morgen graute und ein neuer Wartetag begann, fand ihn das frühe Licht rastlos und fahrig, beim verbissenen Kampf gegen Gegner ohne Gestalt.
Dann ließ er die Waffe sinken, spähte hoffnungsvoll zum Fenster hinaus – vielleicht waren seine Bitten erhört worden, und der ersehnte Reiter preschte auf den Hof? Doch er kam nicht.
Gunther schalt sich in Gedanken; nicht einmal Hagen konnte sich die Zeit untertan machen. Er weckte seine Diener und Knappen, ließ sich ankleiden, gab Claudius Körner und eilte in den Dom. Allen Leuten, die er auf dem Weg antraf, sprach er Mut zu, vom Fürsten bis zur Wäscherin. Was er sagte, ließ sie getröstet zurück, er wusste selber nicht, wie ihm das gelang. In seinem Kopf klang jedes Wort der Aufmunterung hohl und falsch, erzwungenes Lügengeklapper.
Bei jeder Frühmesse stellte er Berechnungen an. Im Saal erstattete man ihm Bericht über tausend Angelegenheiten. Vieles verlief zum Glück nach Plan, da brauchte er nur nicken und in schönen Worten „Weiter so“ sagen. Bei unvorhergesehenen Schwierigkeiten sprang ihm gleich Godomar bei, Eckewart, auch Gernot. Gunther war heilfroh darüber.
Danach ritt er zum Rheinufer, um zu tjosten. Grau war alles Licht, selbst das Glitzern der Wellen. Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen.
Das Mittagsmahl unterbrach die Kämpfe. Er verteilte Trost und wackere Worte, und wenn er einmal nicht sprach, nippte er schlückchenweise am Wein herum. Der Nachmittag zerfasterte sich in derselben Weise, manchmal dämmerte er in der Kemenate für zwei Stunden ein, und irgendwann war Abend; endlich, endlich wurde das Ergebnis seiner Berechnungen einen Tag kürzer.
Am fünften Tag des Wartens ging er in der Abenddämmerung zum Dom hinüber. Übermorgen müsste Hagen eintreffen, ganz gewiss. Im Laufe des Nachmittags vermutlich. Er würde wissen, was zu tun war, ach, vielleicht könnte Hagen mit seiner Klugheit allein die Gefahr noch abwenden? Schließlich hatte er auch Schwaben dem burgundischen Machtbereich einverleibt ohne jeden Schwertstreich, allein mit der Wunderkraft der Rede!
Im Dom umfing ihn behutsam der Weihrauchduft und das weiche Licht der Kerzen. Zwei Dutzend Gläubige knieten noch vor dem Altar, das Haupt tief geneigt. Alle Rastlosigkeit des Tages, alles Hasten, Hetzen und Scharren im Angesicht des nahenden Krieges war bei Sankt Peters Besuchern stets zum Erliegen gekommen. Gleich Espenlaub bei Windstille hörte selbst der Eiligste zu schaffen auf; das Schwirren von tausend unerfüllten Aufgaben kam an ein Ende. Der Dom kühlte mit seinen würzigen Schatten jede erhitzte Stirn, wie die Hand des barmherzigen Samariters. Hier in der Umarmung der schweigenden Wände spürte jeder, dass er aus Staub bestand, dem vergänglichsten aller Dinge. Was hatte der Bischof heute gepredigt von der Kanzel herab? Windhauch war alles Streben; jede Mühe, noch so groß, war doch nur jämmerliches Erdengezappel. Der Tod holte jeden ein, die Trägen wie die Fleißigen, die Geschlagenen wie die Sieger. Das wahre Ziel war nicht der Triumph im Krieg, sondern das Reich im Himmel. Die Erbaulichkeit seiner Predigt verging jedoch rasch wie Rauch; natürlich fühlte jeder das Himmelreich warten – aber – der Weg durch Blut und Waffenlärm beschäftigte die Seelen mehr. Um eine gute Heimkehr flehten die Mütter und Schwestern; um viele Jahrzehnte mit dem Bräutigam flehten die jungen Bräute; die Männer beteten für Schlachtenglück, für Panzer und Helme, die hielten, für Schwerter und Knochen, die nicht brachen.
Gunther kniete sich am Rande nieder, reglos, nur seine Finger gaben das Zittern nicht auf. Fürbitten, Sorgen und Klagen stürzten übereinander, ein Glück, dass niemand in seinen Kopf sehen konnte. Einzig Mutter und Hagen hätten es ihm angemerkt. Kein Paternoster brachte er zu Ende, schon rasten ihm die Gedanken davon, zimmerten nichtsnutzige Schlachtpläne zusammen, zählten seine Krieger oder stellten Mutmaßungen über die Namen der künftigen Gefallenen an. König, ha – in der Not war er ein Taugenichts. Übermorgen, schlimmstes Warten, und falls er sich verspätet hätte, noch länger, länger! Unsäglicher Hagen, warum war er fort! Er bekam doch bisweilen Visionen – warum hatte er nicht Burgunds Unheil vorhergesehen und war hiergeblieben? Der Zorn war ungerecht, ja, ja – aber irgendeiner musste herhalten, sonst bliebe Gunther nur er selber übrig, um sich zu beschuldigen.
Nach einer Stunde voller Zagen, Flehen und Befürchten erhob er sich. Er schlug das Kreuz und verließ seinen Freund, den Dom.
Die Nacht war herabgesunken, in Schwärze lagen Pfalz und Stadt. Feuerschalen brannten vor dem Portal des Saals und vor den Türen fürs Gesinde. Aus einigen Fensterritzen drang Kerzenschein. Nur noch wenige Leute gingen über den Hof, ihre Schritte beschwert von der Mühsal des Tagewerks, für das der Tag nicht reichte. Schlaff hingen die Fahnen an den Stangen; nur ihre Säume wiegten sacht in der Brise. Die Luft war kühl für Mitte Mai. Der Flatterflug der Fledermäuse unterbrach zischend das Schweigen der Nacht. Manchmal waberten Stimmenfetzen an sein Ohr, von den Fensterläden zu Raunen herabgedämpft.
Wieder erstreckten sich Stunden vor ihm, eine ganze Ebene, und unerreichbar wie der Horizont schien ihm der Morgen. Er schlang den Umhang enger um sich und strebte der Pfalz zu.
Hufschläge hallten von den Wänden wieder; hurtig, eilig, flinker Trab – dann allmählich Schritt.
Zu dieser späten Stunde ließen die Stadtwächter nur noch hohe Herren ein. – Heute, heute schon?
Durchs Hoftor kamen Pferd und Reiter. Entweder hüllte nur die Nacht das Pferd in Schwärze, oder es war ein richtiger Rappe. Ein Stallbursche huschte heran, ergriff den Zügel. Der Reiter stieg ab, klopfte dem Pferd den Hals und ging ein paar Schritte zur Seite, schwankend wie einer, der über den Zeitpunkt der Erschöpfung weit hinausgekommen war.
Gunther rannte auf ihn zu. Der Sand knirschte bei jedem Sprung. Er schlang die Arme um Hagen und drückte ihn an sich. „Du bist da, du bist da! Eineinhalb Tage früher!“
„Sagte ich doch“, murmelte Hagen. „Araber sind ausdauernd. Jetzt muss er sich erholen.“
Gunther ließ ihn wieder los. Es hatte niemals ein Zweifel bestanden, wem der Titel des besten Reiters gebührte. Natürlich hatte es Hagen arg mitgenommen: Seine Kleider waren durchtränkt, Staub klebte im Gesicht, seine Wangen waren eingefallen. Und trotzdem war er hier!
„Komm mit, mein Treuester. Für dein Pferd wird gesorgt.“
Sie schritten los. Wie Hagen auf der Treppe zweimal strauchelte, fasste Gunther ihn am Arm.
Die Wächter öffneten ihnen das Portal. Sie machten große Augen. Ja, über diese Geschwindigkeit staunten sie zurecht!
„Berichte mir alles“, sagte Hagen, während sie durch die dunklen Flure gingen. „Obgleich ich furchtbar müde bin, war mein Kopf nie wacher.“
Als sie die herzoglichen Kammern erreichten und anklopften, schlurfte müde der alte Diener heraus. Er stutzte. Beinahe fiel ihm der Kerzenhalter herab. „Ja, ist’s möglich! Wir dachten, Ihr kämt erst übermorgen!“
„Er ist unerreichbar!“, sagte Gunther stolz.
Hagen nickte nur und schleppte sich bis zum Tisch und zum Weinkrug im Vorzimmer. Er warf Gunther einen knappen Blick zu, der bedeutete, dass er dem Anstand gemäß zwar teilen würde, jedoch lieber auf die Nachsicht der Freundschaft hoffte.
„Nimm alles.“
Er leerte gleich zwei Becher. Der Diener zündete währenddessen die Kerzen im Nebenzimmer an.
„Wir berufen heute noch den Rat ein“, sagte Hagen – der übliche Eisenklang in seiner Stimme fehlte – „nur erlaubt mir bitte, mich zuvor in vorzeigbaren Zustand zu bringen.“
Gunther nickte.
Inzwischen war die Kammer hell erleuchtet. Gunther schickte den Diener los, neuen Wein zu holen, das war nötig. Hagen ließ den dritten Becher wieder sinken und bedachte Gunther mit einem argwöhnischen Blick aus rotgeäderten Augen. „Warum siehst du so aus, wie ich mich fühle?“
„Ich hab die letzten Nächte kaum geschlafen.“
„Ein König muss schlafen können. Um sich nachts den Kopf zu zermartern, hat er seine Vasallen.“
Gunther zuckte mit den Schultern. „Drei Feinde wie diese sind dem Seelenfrieden nicht förderlich. Außerdem“, er zog rasch den Dolch und hielt die spiegelnde Klinge Hagen hin, „bist du nicht besser dran.“
Hagen lehnte sich vor. Dann zog er eine Braue hoch.
Gunther steckte den Dolch wieder ein. „Es tut mir leid, dass ich dir den Gewaltritt antat, und deinem braven Pferdchen.“
„Wache ist ein Held. Er kommt mit wenig Rast und Erholung aus.“
„Du auch. Ich lasse aus der Küche –“
Hagen winkte unwirsch ab und stolperte in die Schlafkammer hinüber, zum Tisch mit der Waschschüssel. Kaum dass er sich darüberbeugte, rieselte Sand hinein.
Während Gunther im Nebenzimmer wartete, geriet er plötzlich in trotzigen Mut, in geharnischte Streitlust; eine unbekannte Festigkeit fasste ihn und erfüllte seine Brust mit Kraft: Er wollte sich vor der Unbill des Schicksals und der Falschheit seiner Feinde nicht mehr schwankend ducken wie eine Binse im Wind, nein, er wollte sich ihnen entgegenstellen, entgegenstemmen wie der Eichbaum dem Sturm! Sie sollten ihn unterschätzt haben, sich in ihm irren: Es war kein wehrloses Häschen, das sie zerreißen wollten, sondern ein Eber!
Er sprang auf und stürmte zu Hagen hinüber. Der fuhrwerkte an der Schnürung seines neuen Gewands herum. Gunther packte seinen Arm. „Wir werden’s ihnen zeigen“, sagte er heftig, „diesmal träum ich nicht von Frieden, weil Frieden ohne Krieg meine Schande wäre. Sei du mein Schwert, führ du mein Heer, ich halt dich diesmal nie zurück! Sie sollen staunen voll Schmerz und Furcht: Hinter dem König mit dem federweichen Herzen steht ein Mann aus Erz und Feuer!“
Sein gewandelter Sinn überraschte ihn selber mehr als Hagen. Der nämlich nickte kühn und raunte: „Wer meinen König herausfordert, wählt mich zum Feind. Und wenn die Gegner wüssten, wie sehr ich auf den Kampf brenne! Zweiundzwanzig Schlachten musste mein Schwert im Dienste Etzels bestehn, es schlug fünfhundert Männer tot für den, der nie mein Herr war – ich kann es nicht erwarten, diese Zahlen zugunsten meines Königs zu berichtigen.“ Sein Blick wurde trübe, wie bei einem, dem vor Müdigkeit die einfachsten Dinge entfielen. „Was wollte ich denn noch …“
Gunther nahm den neuen Umhang, der schon auf der Truhe bereitlag, und hängte ihn Hagen schwungvoll um. „Das hier. – Jetzt wollen wir sie empfangen.“
Sie setzten sich im Nebenzimmer an den hellerleuchteten Tisch. Hagens Höllenritt zollte immer mehr seinen Tribut, und hätte sein Stuhl keine Armlehnen gehabt, wäre er wohl zur Seite gekippt. Wie jedoch der erste Fürst eintrat, zuckte Hagen in aufrechteste Haltung, als sei ihm Erschöpfung unbekannt. Der Kerl war unvergleichlich.
Binnen einer halben Stunde kamen sie alle: Ortwin und Eckewart, Onkel Godomar, Gerold von Trier, Volker von Alzey und Gernot.
„Ja sowas“, rief Ortwin, „bist du geflogen?“
„So sieht er aus“, murmelte Volker.
„Ich bin Euch zu tiefem Dank verpflichtet, lieber Herzog“, sagte Gunther nachdrücklich, „dass Ihr auf meinen Hilf- meinen Ruf hin hergekommen seid. Nun habt Ihr gebeten, Euren Feldzugsplan gleich heute noch meinen anderen Fürsten mitzuteilen. Bitte, sprecht.“
Doch ehe Hagen begonnen hatte, warf Gerold von Rechtenberg, der Trierer Markgraf, heftig ein: „Feldzugsplan? Wie wollt Ihr einen haben, wenn Ihr bis vor einer Stunde durchs Land geritten seid?“
„Eben drum. Zeit zu denken hatte ich genug.“
Da der Rechtenberger auf seinen Bedenken beharren wollte, sagte Gunther rasch: „Genau. Also, Herzog!“
Hagen leitete seinen Vorschlag mit ein, zwei geschliffenen Sätzen über den Ernst der Lage ein. Der Eisenklang war wieder zurück, und eine Mischung aus Dringlichkeit und Selbstvertrauen ging von ihm aus. Wohl keiner konnte sich dem Einfluss seiner Stärke entziehen; beim Zuhören richtete sich jeder unwillkürlich höher auf, die Mienen wurden entschlossen und manche Hand umfasste pflichtbewusst das Heft.
„Wir müssen zuerst unsere Streitmacht nach Westen werfen, Frankreich schlagen in schnellem Kampf. Dann, mit Frankreichs Niederlage an unseren Fahnen, wenden wir uns nach Osten. Bayern und Österreich werden uns nur vereint anzugreifen wagen, denn ein bayerischer Alleingang brächte keinen sicheren Sieg – und hielte sich Bayern zurück, genösse Österreich in dessen Glücksfall alle Früchte des Sieges alleine. Zudem ist der Franzosenkönig im Norden wieder in Streitereien mit den Engländern verwickelt, und kann nur eine Teilstreitmacht gegen uns aufbieten. Ergo: Frankreich wird früher kampffähig sein, während Bayern auf den Verbündeten warten muss. Also müssen wir uns erst den Franzosen entgegenstellen. – Mein König, wie dünkt Euch das?“
„Haltet ein!“, rief Godomar und lehnte sich vor, „was ist mit den Schwaben?“
„Sie mögen sich uns anschließen, wenn wir gegen Bayern und Österreich ziehen. Die Aussicht auf Beute wird sie überzeugen.“
„Ich bin dagegen“, sagte Rechtenberg. „Wenn wir nach Frankreich eilen, entblößen wir unsere östliche Grenze. An der übrigens, wie ich erwähnen möchte, das Herzogtum Tronje liegt, und um dessen Wohl sich zu sorgen eigentlich Aufgabe seines neuen Fürsten wäre.“
„Darum muss die Entscheidung im Westen schnell fallen“, sagte Hagen scharf. „Nur eines dürfen wir nicht: säumen!“
Rechtenberg gab nicht nach. „Bei aller Ehrfurcht vor Eurer neuen Würde, Hagen, und vor den Gebräuchen seit altersher: Ist es nicht vernünftiger, wenn wir die Leitung in diesem Krieg einem Mann anvertrauen, der schon mehrere Kriege im Dienste Burgunds ausgefochten hat? Denn Euer Eifer steht Euch gut an, natürlich – allerdings übertrifft in einem Fall wie diesem die Erfahrung alles Feuer der Jugend.“
„Ich schließe mich dieser Meinung an“, sagte Godomar mit einem verlegenen Seitenblick auf Gunther.
„Ich bedaure es mehr als jeder andere, dass ich zweiundzwanzig Schlachten nicht im Dienste Burgund ausgefochten habe“, fauchte Hagen, „aber ich habe auch schon bei den Hunnen ein Heer geführt und gewonnen!“
Gunther bedeutete ihm mit verstohlener Geste, dass er schweigen solle. Dieses Argument schlug nicht zu Hagens Gunsten aus.
„Eine Schlacht ist kein Krieg“, sagte hämisch der Rechtenberger. „Mein Vorschlag, edler König, ist es, dem Markgrafen von Speyer die Führung anzuvertrauen. Da weiß man, dass er den Rat der anderen billigt, wie es sich gehört.“
„Zuerst einmal vielen Dank“, begann zögerlich Eckewart.
Gunther unterbrach ihn: „Zuerst einmal möcht ich sagen, dass ich Euch beide, Gerold und Eckewart, hoch schätze für die Treue, die Ihr meinem Reich stets erwiesen habt – doch dies ist nicht die Zeit, um einen Disput über Grundsatzfragen zu beginnen. Immer schon führte der ranghöchste Fürst das Heer an – im Verein mit den anderen, nota bene – und so bleibt es.“
Warum zog Gernot in der Ecke die Brauen hoch, als sei er überrascht, dass Gunther einmal Schneid hatte? – Wie dem auch sei. Gunther schaute in die Runde und hoffte, dass ihm jemand beispringe.
Volker räusperte sich und sagte beschwingt: „Ich schließe mich dem Rat des Herzogs an und hätte auch ohne ihn dahingehend“ – sein Blick ging über ihre Köpfe hinweg, als suchte er nach einem Wort.
„Votiert?“, schlug Hagen vor.
„Gewiss.“
„Ich auch“, sagte Ortwin. „Ich kann’s nicht erwarten, die Unheilstifter meine Streitaxt kosten zu lassen.“
Gernot schaffte es, zu nicken und gleichzeitig so auszusehen, als habe er keine Wahl. „Ja.“
Eckewart von Speyer stimmte ebenfalls Hagen zu.
„Dann sind wir uns mehrheitlich einig“, sprach Gunther, „ich nämlich auch, ich hab Vertrauen zu meinem Herzog – und somit ist entschieden: Wir ziehen nach Frankreich!“
Anmerkungen:
„Die Lehnen hielt er fest umklammert, bis die Adern hervortraten“: Sorry für das Klischee
Tagewerks, für das der Tag nicht reichte: Ich mache mir Sorgen, ob man mir vorwerfen würde, ich hätte einen nicht funktionierenden Hof geschaffen. Warum bewältigen die ihre Arbeit nicht? Sind die Figuren (das Gesinde eingeschlossen) als unfähig konzipiert? Also: Zum einen dachte ich mir, dass ein nahender Kriegszug immer Mehrarbeit mit sich bringt. Zum anderen fühlt man sich in höherem Alter (das kann schon ab 25 sein) auch heute noch so, als ob der Tag nie ausreicht, alles zu tun, was man will (zumindest bei uns Schwaben!).
„Hufschläge hallten von den Wänden wieder; hurtig, eilig, flinker Trab – dann allmählich Schritt“: Da habe ich mich extra bemüht, durch den Rhythmus und die Länge der Silben die Gangarten des Pferds nachzuahmen!
Der Herzog klopft an seiner eigenen Türe an: Das scheint aufs Erste total sonderbar. Doch man muss bedenken: Der Herzog war bis eben noch auf Reisen, sein Diener war also allein. In einem meiner 300 Bücher über das Mittelalter hatte ich einst gelesen, dass mittelalterliche Türen jedes Mal, wenn man sie zumachte, abgeschlossen waren und mit dem Schlüssel wieder geöffnet werden mussten. Leider weiß ich nicht mehr, in welchem Buch das stand, und kann es nicht mehr nachschauen. Sollte dies stimmen, wäre es sinnvoll, dass der Herzog anklopfen muss. Alternativ kann sich der Diener auch eingeschlossen haben, damit nicht jeder Unbefugte hereinspazieren kann.
„Ein König muss schlafen können“: Das sagte Bismarck zu Friedrich Wilhelm IV. während der Revolution von 1848/49!
Die Feinde sollen erkennen, dass es kein Häschen ist, das sie angreifen, sondern ein Eber: Gemeint ist ein Keiler. Bei Wagner z. B. wird auch immer das Wort „Eber“ verwendet, und so ist es mir ins Gedächtnis eingegangen. Die Gleichsetzung von Gunther mit einem Keiler ist den Leserinnen des Epos natürlich bekannt, wo Kriemhild in der Nacht vor der tödlichen Jagd von einem Traum heimgesucht wird, in dem ihr Mann Siegfried von zwei wilden Schweinen (zwei wildiu swîn) über die Heide gejagt wird, bis die Blumen sich röten …
Kriegsrat: Es wäre sinnvoll, wenn auch der Bischof von Worms am Kriegsrat teilgenommen hätte, denn auch geistliche Fürsten stellten ein Aufgebot für den Heereszug und begleiteten ihre Leute oftmals auf dem Feldzug. Ich wollte die Szene aber nicht mit Figuren überladen.
Kriegsplan:
Die Ausgangslage dieses fiktiven Krieges ist eine sehr spezielle:
Das Burgund der Sage findet man natürlich nicht auf Landkarten; über dessen Ausdehnung kann man zwar spekulieren anhand der Namen der im Epos genannten Figuren (Ortwin von Metz, Volker von Alzey, und auch der Bischof von Speyer darf zweimal etwas sagen), aber schlussendlich bleibt alles vage. Die Burgunden interagieren im Epos mit Siegfried und dessen Leuten aus „Nederland“, mit Island, mit den Sachsen, den Dänen, auf der Fahrt in den Osten noch mit den Bayern, dem „Österreicher“ Rüdeger und an Etzels Hof mit den Hunnen, den Männern von Rüdeger den Leuten von Dietrich und mit den Thüringern.
Jetzt kann man natürlich fragen: Warum um Himmels willen sollen in dieser Fanfiction-Geschichte hier die Österreicher einen Krieg gegen Burgund führen wollen, wenn doch offenbar das ganze BAYERN zwischen ihnen liegt? Ist ja nicht so, dass ein Feldzug ein Spaziergang war. Warum sollten die Bayern sich darauf einlassen? Wer will schon einen Verbündeten haben, der erst einmal durchs ganze eigene Land ziehen muss, bevor er in Feindberührung kommen kann?
Antwort 1: Dass im Epos die Dänen den langen Weg auf sich nehmen, und im Verein mit Sachsen Burgund angreifen, zeugt auch von einer recht umständlichen Form der Kriegsführung. Außerdem ist zu bedenken, dass das Herzogtum Sachsen (im Epos ist es ein Königreich) sich bis 1180 weiter nach Westen erstreckte. Nachdem es Heinrich dem Löwen entzogen wurde, sind einige Teile abgetrennt worden (noch nachprüfen: z. B. Westfalen kam an den Erzbischof von Köln). Der unbekannte Dichter des Epos hat sich womöglich noch an die Zeit erinnert bzw. die Zeit erlebt, als Sachsen noch viel größer war. Da sich die Handlung des Lieds über viele Jahrzehnte erstreckt, ist es denkbar, dass er sich für den Sachsen- und Dänenkrieg, der zu Anfang der Geschichte spielt, ein größeres Sachsen vorstellte, so wie es möglicherweise seine Generation, aber zumindest die Älteren von früher noch kannten. Wenn man die politisch-geografischen Verhältnisse des 12. Jahrhunderts mit der Eposhandlung verbindet, müssen die Dänen für den Krieg gegen Burgund eventuell durch das Land ihres Verbündeten reisen. AHA! Wie bei mir.
Und darum habe ich gedacht, dass ich das so machen darf.
Antwort 2: Ich wollte halt eine spannende Handlung, hatte aber nicht genug Anrainerstaaten, die Kriegsgegner sein konnten.