Archiv für den Monat: Februar 2023

Ich habe ein Buch gelesen

Das ist ja an sich nichts Besonderes. Allerdings war das Buch, um das es hier geht, auf Italienisch – und meine Italienischkenntnisse (wenn man sie denn so nennen möchte), sind überaus mager. Tatsächlich hatte ich mir nur ein ganz klein wenig Lesekompetenz angeeignet; was ich bisher gelesen hatte, beschränkte sich deshalb auf ein paar mir schon bekannte Bücher auf Italienisch, ein paar selbstverlegte Romane, sowie ein halbes Buch über Graf Cavour und den Anfang eines Buches zum Risorgimento.

Im Januar aber habe ich diese kargen Kenntnisse zum ersten Mal richtig einsetzen müssen (eigentlich wollen, denn es bestand ja kein Zwang). Gleich am Erscheinungstag lud ich mir „Nient’altro che la verità. La mia vita al fianco di Benedetto XVI“ von Erzbischof Georg Gänswein auf den Kindle. Damals war noch nicht bekannt, ob das Buch auch auf Deutsch erscheinen würde – doch da ich sofort wissen wollte, was darin steht, musste ich mich eben ans Italienische wagen. Also habe ich mich durchgearbeitet, langsam, aber unaufhörlich. Innerhalb von sieben Tagen hatte ich es fertiggelesen, alle 320 Seiten.

Es war eine große Herausforderung, aber es machte auch viel Freude. Besonders gefiel es mir, wenn ich einen Satz las, zunächst erst gar nichts verstand, und sich beim tiefergehenden Untersuchen der Wörter der Sinn dann doch noch herausschälte – oft, indem ich die Verwandtschaft des jeweiligen Wortes zu seinen Entsprechungen in anderen Sprachen erkannte. Es war, wie wenn man ein schwieriges Rätsel löst.
Gegen Ende habe ich gemerkt, dass sich eine gewisse Verbesserung bezüglich Geschwindigkeit und Verständnis eingestellt hatte.
Natürlich weiß ich, dass es nichts Besonderes ist, ein Buch in einer Sprache zu lesen, die man nicht gelernt hat; jeder andere Mensch, der in der Schule wie ich Spanisch hatte, oder wie manche Leute Latein, könnte dieses Buch genauso lesen und selbstverständlich noch viel schneller!

Meine Lieblingsstellen aus dem Buch, aus dem Gedächntis schnell festgehalten:

Als Kardinal hatte Joseph Ratzinger einen Organspendeausweis. Erst als er Papst wurde, musste er ihn aufgeben, da die Leute im Vatikan dies nicht mit seinem neuen Amt für vereinbar hielten.

Den elektrischen Rollstuhl, den der Papst seinem Bruder Georg geschenkt hatte, benutzte er nach Georgs Tod selber.

Zum „Tag des Alters“ hielt Franziskus eine Rede im Vatikan und erklärte dabei, wie sehr er sich freue, dass Benedikt hier lebe: Es sei, als ob der alte weise Großvater mit im Haus wohne. Benedikt zeigte sich dankbar für diesen wertschätzenden Kommentar, sagte aber zu Gänswein mit sanftem Humor, dass Franziskus auch „großer Bruder“ hätte sagen können: Schließlich sei er nur 9 Jahre jünger als Benedikt.

Als Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum Konklave schritt, wurde er wie am Vortag von Georg Gänswein begleitet (jeder Kardinal darf bekanntlicherweise einen Begleiter mitnehmen). Er sagte zu Gänswein, dass es ihn gestern in der Sixtinischen Kapelle, wo die Wahl stattfand, gefroren hatte, und dass er deshalb einen Pullover unter dem purpurroten Talar trug. Es schließen sich Gänsweins bewegende Schilderungen des Wartens an und dann die Spannung unter den Begleitern und sonstigen Amtsinhabern, als klar ist, dass der neue Papst feststeht! (Das war sooo spannend, obwohl ich den Ausgang schon kannte :-D). Gänswein bekam eine plötzliche Eingebung: Er ging zum päpstlichen Zeremonienmeister und sagte ihm: „Falls Ratzinger Papst ist, denken Sie daran, dass er den schwarzen Pullover auszieht, bevor er die päpstlichen Gewänder anlegt!“ – Im Überschwang der Gefühle wurde das allerdings wieder vergessen, und deshalb sieht man auf den ersten Fotos des neuen Papstes unter seinen weißen Ärmeln den schwarzen Pullover hervorblitzen.

Noch eine Anekdote aus dem Konklave:
Man hat später gemutmaßt, dass Joseph Ratzinger seine Stimme dem Erzbischof von Bologna gab, bei jedem Wahlgang, auch dann noch, als die anderen begannen, ihre Stimme nur noch den aussichtsreichsten Kandidaten zu geben. Nach dem dritten Wahlgang wurde das Mittagessen eingenommen, und währenddessen ereiferte sich der Erzbischof von Bologna: „Ich möchte wissen, wer mich da immer wählt! Wenn ich rauskriege, wer das ist, dann hau ich dem eine rein!“
Ein anderer Bischof hatte die Sache schneller durchschaut und erwiderte: „Aber das geht doch nicht! Wie es scheint, ist derjenige, der Sie wählt, der künftige Heilige Vater. Wollen Sie dem Heiligen Vater eine reinhauen?“

Sehr, sehr berührend schilderte Erzbischof Gänswein die Momente nach der Wahl, als alle wussten, wer der neue Papst ist.
Kardinal Schönborn sagte am Tag danach etwas sehr Ergreifendes über Benedikts verstorbene Schwester Maria. – Sie hatte Anfang November 1991 einen Schlaganfall erlitten und ist einen Tag später verstorben. Ihr kleiner Bruder Joseph, dem sie den Haushalt machte, hatte einen Monat früher, Ende September 1991, einen leichten Schlaganfall erlitten, von dem er sich schnell wieder erholte. – Kardinal Schönborn sagte dem neuen Papst: „Heiliger Vater, während Ihrer Wahl habe ich oft an Ihre Schwester gedacht und habe mich gefragt, ob sie Gott gebeten hat, dass er ihr eigenes Leben nehme und das ihres Bruders verschone.“ Und Benedikt hat leise geantwortet: „Das glaube ich auch.“
Ein Einschub aus „Licht der Welt“: Noch im Jahre 2010 trug Benedikt die Uhr, die ihm seine Schwester nach ihrem Tod hinterlassen hatte.

Georg Gänswein schwor Benedikt gleich nach der Wahl Treue „in vita et in morte“.

Dies waren meine liebsten Stellen aus dem Buch, ergreifende, heitere, traurige und schöne.

Dann fand ich ein paar Tage später heraus, dass der Papst ein neues Buch veröffentlich hat, posthum. Es handelt sich gewissermaßen um sein geistiges Testament, und auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes ist es nicht auf Deutsch erschienen, da sich jedes Mal ein mörderisches Geschrei erhebe, wenn ein Wort von ihm veröffentlich wird. Stattdessen ließ er die Texte aus dem Deutschen ins Italienische übersetzen. Ja, da wusste ich, was ich als nächstes lese, und so kam es, dass ich dieses Jahr bereits ZWEI Bücher gelesen habe in einer Sprache, die ich nie gelernt hatte.