Du wirst, was du schreibst oder Wie das Schreiben Autoren verändert

Autoren – lichtscheue Wesen, die gebückt wie ein brillentragendes Rumpelstilzchen auf ihre Tastaturen einhacken. Introvertierte Träumer, die viel lieber große Kämpfer mit blutiger Streitaxt wären, oder zarte Prinzessinnen, oder zarte Prinzessinnen mit blutiger Streitaxt. Autoren sind doch alle gleich, von der Jugend bis zum Alter. Oder nicht?

Schreiben verändert uns. Nicht nur, dass wir Organisationstalent und Selbstdisziplin entwickeln, Begeisterungsfähigkeit und Durchhaltevermögen – unsere Texte verändern uns noch auf ganz andere Art, auf unheimliche Art: Du wirst, was du schreibst.

Wer sich ganz in seine Figuren einarbeitet, wer sich täglich stundenlang damit beschäftigt, die Welt aus der Sicht eines traumatisierten Cholerikers, einer arroganten Hochsensiblen, einer pedantischen Hochadligen oder eines arbeitssüchtigen Kaisers zu schildern, der nimmt Züge seiner Figuren an. Das passiert ganz von selber, man muss nichts weiter dazu tun. Stundenlang richten wir unsere Konzentration darauf, den erfundenen Charakter erfundener Figuren möglichst glaubwürdig nachzubilden – das färbt ganz selbstverständlich auf uns ab. Wir erfinden spannende Figuren für den Leser, und eignen uns dabei neuartige Denkweisen an. Was wir uns ausdenken, prägt uns, und manchmal auf gravierende Weise.

Ich beobachte dieses Phänomen schon seit längerer Zeit (und es wird von Buch zu Buch deutlicher). Hier eine Liste meiner bisherigen Bücher, und wie die jeweiligen Hauptfiguren während des Schreibens auf mich abgefärbt haben:

Der Kaiser von Huwelreich

Weibliche Hauptfigur: Pedantische Prinzessin, tadellose Manieren, sehr auf Einhaltung der Etikette bedacht, hohe Selbstbeherrschung, sieht anderen etwaige Fauxpas jedoch großzügig nach, charakterlich recht gefestigt

–> Einfluss auf mich: Ich fühlte mich recht gefasst, übte gerne Nachsicht mit den alltäglichen Schwächen der Menschen. Allgemein war ich guter Laune.

Männliche Hauptfigur: Liebeskranker Prinz

–> kein Einfluss auf mich

Die Rose von Huwelreich

Weibliche Hauptfigur: Narzisstische Hochsensible, die meint, sie habe ein schreckliches Leben, so viele Pflichten, keine Freude, versinkt in einem Ozean aus Selbstmitleid, …

–> Dieses Buch zu schreiben war eine Qual, ich musste mich durchkämpfen, manchmal schrieb ich ins Manuskript „Ich hasse dieses Buch. Ich hasse dieses Buch“ …

Männliche Hauptfigur: Arbeitsamer Kaiser, von schlichtem Gemüt, wenig emotionale Tiefe, aber wohlmeinend

–> Diese Szenen waren einfach und schnell und machten Spaß

Der König von Blauwittern

Weibliche Hauptfigur: Traumatisierte, unterdrückte Prinzessin. Glaubt, sie dürfe nicht für sich selber eintreten. Glaubt, sie hat kein Recht auf Respekt

–> Ich bekam Angst vor dem Zorn anderer Leute. Ich gab mir große Mühe, anderen nicht zur Last zu fallen oder ihren Unwillen zu erregen

Männliche Hauptfigur: Wagnerfan und verrückt

–> Ich war schon vorher Wagnerfan, es hat sich nichts verändert
–> Ich war schon vorher verrückt, es hat sich nichts

Wie man einen Kaiser erpresst

Männliche Hauptfigur: Liebenswürdiger Workaholic-Kaiser

–> Ich schrieb dieses Buch in 9 Tagen, auch wenn es hart und anstrengend war, auch wenn während der letzten drei Tage ständig mein Augenlid zuckte und ich keine Freizeit mehr hatte, denn man muss sich durchbeißen!

Weibliche Hauptfigur: Trotziges Dienstmädchen, das eisern seine Träume verfolgt

–> Siehe oben!

Dietrich von Bern

Männliche Hauptfigur: Gemütlicher Held, selbstsicher und selbstgerecht, schleppt noch einen alten Mann mit sich herum, der immer meckert

–> Ich war weder gemütlich noch Held, aber die meckernden Leuten dieser Welt habe ich endlich durchschaut!

Die Antagonisten: Viel toller als der Held, weil intrigant und vom Königshof und so weiter …

–> Es ging mir wunderbar!

Der Kaiser, sein Feind und der Krieg

Auktorialer Erzähler, der mit spitzer Zunge schwadroniert, wie man es im 19. Jahrhundert zu tun pflegte

–> Mir ging es super! Ich bin im tiefsten Innern nämlich ein Bramarbaseur des 19. Jahrhunderts

Der König von Burgund und die Geisel

Männliche Hauptfigur 1: Zweifler, Jammerlappen

–> jeder Satz war eine Qual, jeden Satz musste ich hinterfragen, jede Metapher, es war doch alles schon einmal da, ist das nun Kitsch oder Pathos oder schlecht, so langsam wie hier schrieb ich noch nie, ach Weh, soll ich das nicht doch wieder streichen? Ach, ich weiß auch nicht, und nun will ich eine Pause machen und darob klagen, wie schwer mir heuer das Schreiben fällt …

Männliche Hauptfigur 2: Hart und unbeugsam und eisern und unzerbrechlich und immer aggressiv und gleich auf 180!!!!!

–> Ich biss mich durch, selbst wenn mir die Motivation fehlte! Man muss hart zu sich selbst sein, und ich habe mich geärgert, ständig, ich hätte rasen können, und wenn ich auch müde war, schrieb ich doch noch weiter, sogar beim Sport war ich zäher als sonst, und ich gehe jetzt und erobere ein Land für meinen König – äh – so ungefähr.

Männliche Nebenfigur: Tyrann, grantig, Giftmischer

–> Haben diese Szenen Spaß gemacht! Die gingen schnell, und zack, schon waren sie fertig. Ich habe offenbar ein Talent für Schurken …

Weibliche Nebenfigur: Kleine, intrigante, manipulative Schwester

–> Wie kann man seine Brüder nicht mögen? Blöde Figur. –> Kein Einfluss auf mich.

Fazit:

Was auf mich am meisten abfärbt, ist die Grundstimmung, die ich der jeweiligen Figur zugeordnet habe. Kein Wunder; die Grundstimmung gleicht einem Basso continuo, der immer in jeder Szene mitschwingt. Was die Figuren wahrnehmen, ist durch ihre jeweilige Grundstimmung gefiltert: Wenn ich aus der Sicht eines Hitzkopfs schreibe, schlage ich einen viel aggressiveren Ton an, als wenn ich aus der Sicht einer kühlen Intrigantin schreibe.

Es bleibt festzuhalten, dass diese Beeinflussung meiner persönlichen Stimmung von Buch zu Buch zunimmt. Gerade das aktuelle Projekt ist wirklich krass, es wechseln sich Tage voller Unentschlossenheit und Selbstzweifel ab mit Tagen des Durchbeißens, mir wächst Entschlossenheit zu, wie ich sie noch nie gekannt habe, und die wenigsten wissen das, aber in mir drin steckt ein mächtiger Choleriker, und der will platzen!

Wie geht es euch? Habt ihr schon einmal etwas Ähnliches bei euch beobachtet?